Sabine Straßburger verweist in ihren Arbeiten auf die Linie, über die sie allerdings weniger hinsichtlich ihrer zeichnerischen, bildgenerierenden Potenz reflektiert als über deren Bedeutung zur Schaffung von Relationen. Dabei kann eine Linie ein Gummiband, ein Spalt oder eine Lücke sein. Auf bzw. in weiß bemaltem Holz setzt Sabine Straßburger Linien, welche die Fläche schneiden, teilen und in Verhältnisse setzen, die wiederum in Beziehung zum Betrachtungsstandpunkt bzw. zur/zum Betrachter*in selbst stehen.
Dies wird in der Arbeit „realitäten 3“, 2014, direkt sichtbar. Auf weißem Grund schneidet eine Linie die Ecken diagonal, so dass eine Rahmung der zentralen weißen Bildfläche entsteht, die man etwa aus Porträts kennt. Auf diese Weise wird das zentrale Weiß, das keine Grundierung, sondern monochrome Ölmalerei ist, zu einer Projektionsfläche des eigenen Bildes. Darüber hinaus wird die Rezeption aktiviert, indem die schwarzen Linien in zwei Ecken gemalt sind, in zwei anderen Ecken jedoch von einem schwarzen Gummiband in der Stärke der gemalten Linie gebildet werden. In wörtlichem Sinne wird das Bild, das sich in diesem Moment als Tafelbild konstituiert, in Spannung gehalten. Es changiert zwischen Bild und Objekt, das Weiß ist ebenso Hintergrund wie Thema, die schwarze Linie ist Zeichnung, Rahmung und Gegenstand.
realitäten 3 2014 40x30cm Öl, Elastikkordel/Leinwand
Ähnlich in einem Zwischenzustand von Plastik und Malerei sowie von Linie und Raum verhält sich die Arbeit „Mind the Gap“, 2019, die sowohl Bild als auch Relief zu sein scheint, was in den Studien zu diesem Werk noch deutlicher wird. Das mit weißer Ölfarbe bemalte Holz ist ebenso Bildgrund für lineare Setzungen, wie es ein Material ist, in das hineingearbeitet wird, das hinsichtlich seiner räumlichen Qualitäten gezeigt wird. Aus einer vermeintlichen linearen Hinzufügung wird eine Negativform, die das Bild real teilt und so zum räumlichen Objekt macht. Diese Räumlichkeit und Plastizität des Werkes wird umso deutlicher an den Stellen, an denen der Schnitt sich zu einer Lücke erweitert. Hier zeigt sich auch, wie Sabine Straßburger ihre Tafelbild-Wandobjekte als Ausdruck von Relationen begreift. Das Werk proklamiert die Einheit von zwei Flächen, die jeweils horizontal geteilt werden, gleichzeitig wirkt es wie eine Zusammenfügung aus mehreren kubischen Körpern, was durch die deutliche Lücke zwischen dem größeren linken und kleineren rechten Teil betont wird. In ihrer eigenen Binnenstruktur gibt die Arbeit ein Wechselspiel aus Halten und Teilen. In einem Vor und Zurück, Rein und Raus erschließen Betrachter*innen sich die Arbeit visuell und begeben sich damit automatisch in eine letztlich körperliche Wahrnehmung.
mind the gap 2019 50x208cm, 2-tlg. Öl/Holzkörper, gesägt, Metall
Der beschriebene Betrachterbezug ist in der Arbeit „gegen – über“, 2019, manifestiert. Sie besteht aus den Worten „gegen“ und „über“ auf zwei hintereinander liegenden Glasscheiben, „gegen“ liest sich vorne spiegelverkehrt. Im Glas spiegeln sich die Betrachter*innen, was die konkrete Bezeichnung als Gegenüber, die vor und hinter, inner- und außerhalb des Werkes vorgenommen wird, umso deutlicher konterkariert. Diese Reminiszens an Konkrete Dichtung schafft ähnliche Relationen und Flächen- und Raumbezüge zu den Betrachter*innen (gegen oder über oder über gegen gegenüber) wie die „Mind the gap“-Variationen, stellt dies jedoch noch konkreter, fast schon ironisch anschaulich als Benennung klar.
gegen-über 2019 40x30cm, gerahmt Öl, Transferfolie/Glas, Leinwand