Sabine Straßburger

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2017 Richard Hoppe-Sailer

Idee einer sinnlichen Konzeptkunst

Richard Hoppe-Sailer // Idee einer sinnlichen Konzeptkunst

 

Den Status der Objekte Sabine Straßburgers zu bestimmen fällt nicht leicht. Auf den ersten Blick besitzen sie eine ironisch irritierende Anmutung, deren Grund so offensichtlich wie verschleiert zugleich ist. Dies hängt nicht zuletzt mit ihrem Anspielungsreichtum zusammen, der eine Fülle unterschiedlicher Assoziationsfelder eröffnet. Kategorial handelt es sich also um Artefakte, die grundsätzlich an der Grenze möglicher Gattungszuordnungen arbeiten, diese überschreiten und somit oftmals erst kenntlich machen. Zugleich besitzen Straßburgers Arbeiten einen  virtuellen Handlungsaspekt, der den Betrachter zu potentiellen Korrekturen oder Vervollständigungen des Gegebenen veranlasst. Aber auch dieser performative Impuls wird, erkennt man ihn, irritiert und nicht allein in seiner Virtualität sondern auch in seiner Unmöglichkeit vor Augen gestellt, in dem Maße, in dem die Schwierigkeiten bewusst werden, die mit einer solchen Intervention verbunden wären. Beschreibt man die Werke auf diese Weise ex negativo, entlasten sie den Betrachter doch nicht von der Aufgabe, ihren Status zu bestimmen. Dies ist nur möglich, und auch das macht sie in besonderer Weise aus, wenn man sich auf die Beschreibung und Analyse des jeweils einzelnen Werkes einlässt. Nur dann wird deutlich, wie es selbst in all seinen Irritationen und Verweisen funktioniert, und nur dann ist auch zu erkennen, wie vielfältig diese, von Werk zu Werk wechselnden Bezüge sind.
Betrachtet man beispielsweise die Gruppe der „Motivsucher“ und sieht man darüber hinaus, dass eines dieser Objekte dem Regisseur Peter Greenaway gewidmet ist, so erkennt man die hohe Medienreflexivität, die Sabine Straßburger in ihren Arbeiten immer wieder anklingen lässt.

Motivsucher [für Peter Greenaway]  2010,  50x50cm  Öl, Faden/Leinwand               

Die auf den ersten Blick nahezu banalen Objekte entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als komplexe Gebilde, die auf vielfältige Weise die alte Tradition des perspektivischen Malens, also der Übertragung einer dreidimensionalen Welt in die Zweidimensionalität der Bildfläche zum Thema haben. Im Umkreis von Dürers Perspektivstudien aus dem frühen 16. Jahrhundert finden wir eine Reihe graphischer Arbeiten, die genau diesen Prozess im Blick in das Atelier des Künstlers anschaulich machen. Er zeigt darin, wie sich der Zeichner unterschiedlicher Apparaturen bedient, um diesen Transfer mathematisch exakt und in nahezu manufakturmäßiger Reproduzierbarkeit bewerkstelligen zu können. Diese Bildassoziation stellt sich beim Betrachter der „Motivsucher“ Sabine Straßburgers ebenso ein, wie jene an Greenways Film „The Draughtsman‘s Contract“ (1982), in dem ein englischer Landadeliger des späten 17. Jahrhunderts, einen Künstler beauftragt, seinen Besitz mit dokumentarischer Genauigkeit zu zeichnen. Auf der Folie der minimalistischen Musik Michael Nymans werden wir Zeugen einer manischen genauen Dokumentation, bei der der Visierrahmen die Funktion eines immer wiederkehrenden, die Tätigkeit des Zeichners emblematisch charakterisierenden Motivs besitzt. Betrachtet man die unterschiedlichen Fassungen der „Motivsucher“, so stellt man fest, wie differenziert Straßburger sich mit dieser Bildmaschine beschäftigt hat. Nicht nur, dass sie die Rasterstruktur zitiert, sie versieht ihn auch mit einem Rahmen aus Millimeterpapier, um einmal mehr seine Exaktheit zu unterstreichen, und sie führt ihn als dreidimensionales Objekt aus, durch das man tatsächlich sehen kann.

Motivsucher >genau werden<  2012  4x18cm, Auflage: 4 EX.  Millimeterpapier, Karton, Kunststoff         

Dabei fällt der Blick entweder auf das Innere des Kastens oder aber auf die dahinter liegende Wand als Fläche. In das Objekt selbst ist also die Dualität von Fläche und Raum eingeschrieben, für dessen malerische Behandlung es selbst entwickelt wurde; ein Umstand, der nicht zuletzt den selbstreflexiven Charakter dieser Werke unterstützt.
Eine weitere Gruppe,  noch deutlicher objekthaftigere Werke, befasst sich mit Fragen der Materialität des Bildträgers und dessen Rahmenstrukturen. Zwei mit weitem Abstand zueinander an der Wand platzierte Bildelemente, die den oberen und unteren Rand eines imaginären Gemäldes bezeichnen, unterstreichen die Bedeutung der Grenze zwischen Bildträger und Wand für die Bildhaftigkeit des Objektes selbst.

teils [frz. Marine Nr.120]  2009,  109x240cm, 2-teilig  Öl/Leinwand

Damit stellt sich aber zugleich auch die Frage nach dem Status eines solchen Werkes. In dem Maße, in dem es offensichtliche Elemente eines Tafelbildes enthält, rekurriert es auf die Tradition des Tafelbildes. Zugleich dekonstruiert es aber die rectanguläre Form der Tafel und entfaltet unter Einbezug der Wand ein selbst bildwirksames Spannungsfeld, das rechts und links oder oben und unten, an den nicht besetzten und markierten Seiten, in die Weite der Wandfläche ungerichtet diffundiert. Dadurch wird es zu einem mehrteiligen Wandobjekt.
Werden in Arbeiten dieser Art die Rahmenelemente auseinandergezogen, so werden sie bei anderen Objekten Straßburgers gestaucht und entwickeln einen reliefartigen Charakter. Dabei kommt es in einigen Werken zu Hybridformen, die die Stauchung mit der Thematisierung der Wandfläche verknüpfen. Alle diese Arbeiten beinhalten, wie bereits angedeutet, ein unübersehbar performatives Element. Immer wieder wird der Betrachter nicht nur mit Hinweisen auf die Grundstruktur eines Bildes konfrontiert, sondern er wird im Akt der Anschauung veranlasst, ein solches Bild als ein Konstrukt zu erfahren. Die Dekonstruktion des Bildes zeigt sein Konstruiertsein. 
                

lost portrait – shaped canvas  2013, 44,5x90cm (aus 120x90cm)  Öl/Leinwand a. Keilrahmen, gefaltet

Sabine Straßbruger variiert dieses Verfahren in einer Fülle von Modellen. Immer wieder aber haben wir es dabei mit komplexen Thematisierungen unterschiedlicher Aspekte von Bildlichkeit zu tun; ob es sich dabei um das seit der Entwicklung der Perspektivmalerei problematische Verhältnis von dreidimensionaler Dingwelt zu zweidimensionaler Projektionsfläche handelt, ob die Rede ist von dem Wechselverhältnis von Bildkörper zu Wand und Raum, von den Modi der Abgrenzung durch innere, kompositionelle Rahmung und äußeren Rahmen oder von Bildreliefs, die sich auf Kompositionsverfahren der russischen Konstruktivisten beziehen. Ein nicht geringes Faszinosum dieser Werke besteht in ihrer ironischen Haltung zu den Dekonstruktionsprozessen, die hier vorgeführt werden. Dabei handelt es sich durchaus um eine hochreflexive Ironie, die in bester Tradition romantischer Vorstellungen, im Werk selbst dessen Gemachtsein vor Auge stellt.
Dabei spielt die Künstlerin über solche selbstreflexiven Aspekte zugleich auf die Geschichte dieses Mediums an. Diese Form von Metamalerei, um einen Ausdruck Viktor Stoichitas zu benutzen, beschäftigt sich also nicht allein mit den Modi des Bildes, sondern ebenso mit der Historizität dieser Modi. Wenn ein „Motivsucher“ auf Greenaway anspielt, wird dabei zugleich ein ferner Bezug auf Dürer und die Entwicklung der Perspektivmalerei eröffnet; wenn Rahmen und Rahmung zum Thema gemacht werden, erscheinen die Werke Robert Rymans oder die trompe l’œils des 17. Jahrhunderst als Bezugshorizont, wenn es um Fragen der Objekthaftigkeit geht, werden Bezüge zur minimal art angespielt.

Hommage an Sigmar Polke  [höhere Wesen befahlen: obere rechte Ecke (umknicken) schwarz malen]  2015, 120x90cm  Öl/Leinwand

Dahinter verbirgt sich weder ein naives Zitieren noch ein schlichtes postmodernes Konzept, sondern der Versuch einer Weiterentwicklung von künstlerischen Untersuchungen, die insbesondere in der klassischen Moderne und in der Kunst nach 1945 eine große Rolle gespielt haben. Sabine Straßburger führt diese Bildbefragungen im Modell einer anschaulichen Versuchsanordnung durch, die in besonderer Weise auf Körperlichkeit und Körperwahrnehmung abhebt.

 Versuchsanordnung >hinter-vor< 1  2014, 50x130x7,5cm  3-teilig  Öl/Leinwand

 Versuchsanordnung >hinter-vor< 2 2014, 50x130x7,5cm  3-teilig  Öl/Leinwand

 Versuchsanordnung >hinter-vor< 3  2014, 50x130x7,5cm  3-teilig  Öl/Leinwand

In dem Maße, in dem die Werke sich auf spezifische Weise zum Raum in Bezug setzen und den Betrachter selbst zu einem aktiven Rezeptionsprozess auffordern, setzen sie den Bildkörper zum Betrachterkörper in Beziehung. Dadurch wird das erreicht, was im Titel dieses kurzen Textes angesprochen wird: Die Vorstellung einer sinnlichen Konzeptkunst, die nicht allein ein Modell durchexerziert, sondern die, in einer Fülle unterschiedlicher künstlerischer Ansätze, der Frage nachgeht, was ein Bild ausmacht, und die für diese Frage ein ästhetisches Anschauungsmodell entwickelt, das die prinzipielle Unbeantwortbarkeit der Frage vor Augen stellt.

 Serie „schief“ 2° |  3° |  4° |  5°  2016,  50x60cm, je  Öl/Leinwand

Damit ist zugleich ein weiteres Charakteristikum aller Bildlichkeit benannt. In der Anschauung der Werke Sabine Straßburger erkennen wir die Grundstrukturen von Bildern so, dass wir nicht allein deren Materialität und deren Historizität wahrnehmen, nicht allein ihr Konstruiertsein erkennen, sondern zugleich ihre mediale Besonderheit wahrnehmen, das heißt ihre prinzipielle Unübersetzbarkeit.Die Werke verschließen sich in dem Maße, in dem wir ihrer ironischen Präsenz erliegen.