Sabine Straßburger

2006 Karin Weber

Maßnahme III

Karin Weber // Maßnahme III


Der Titel der Ausstellung, mit der sich Sabine Straßburger, eine Künstlerin aus Bremen in Dresden vorstellt: Maßnahme III, klingt nach bürokratischem Aktionismus und ist im Bezug auf die malerischen Untersuchungen der Künstlerin doch vollkommen korrekt, in denen sie sich mit Normen, Normierungen, Maß nehmen, Wahrnehmung und Realitäten auseinandersetzt.
Somit bergen die sinnlichen Farbqualitäten der Bildhäute noch etwas anderes in sich, das weit über das Sichtbare hinausgeht. Nichts ist so, wie es auf dem ersten Blick scheint.
Würde man die Künstlerin fragen, was ihre Kunst bedeute, so könnte wohl die Antwort lauten: Eine Art zu leben – analog „was nicht gesagt werden kann, zeigt sich.“
Die Gedanken der Künstlerin, der schichtweise Vorgang der Bildentstehung, die irritierende Reflexion des Betrachters, das alles ist wesentlicher Inhalt dieser Kunst mit konzeptualistischem Ansatz. Verwandlung ist ein Charakteristikum, die ein Nachdenken über die einfachen und schwierigen Dinge des Lebens provoziert. Man wird sehen, was dahinter steckt.
Und ewig lockt der weiße Grund der Leinwand die Malerin, so ähnlich, wie es Kandinsky in malerischer Emphase beschrieb: „Scheinbar: wirklich leer, schweigend, indifferent. Fast Stumpfsinnig. Tatsächlich: voll Spannungen mit tausend leisen Stimmen, erwartungsvoll. Etwas erschrocken, da sie vergewaltigt werden kann. Aber fügsam. Sie tut gern, was man von ihr verlangt, bittet nur um Gnade. Sie kann alles tragen, aber nicht alles vertragen. Wunderbar ist die leere Leinwand – schöner als manche Bilder. Einfachste Elemente. Gerade Linie, gerade schmale Fläche, hart, unentwegt, sich rücksichtslos behauptend, scheinbar selbstverständlich – wie das bereits erlebte Schicksal. So und nicht anders. Gebogene, freie Linie, vibrierend, ausweichend, nachgebend, elastisch, scheinbar unbestimmt – wie das uns erwartende Schicksal. Es könnte anders werden, wird aber nicht. Jede Linie sagt: ich bin da! Sie behauptet sich, zeigt ihr sprechendes Gesicht – horcht! Horcht auf mein Geheimnis!“ Der erste Blick täuscht: konkrete, geometrische Malerei, Farbflächen, elementare Zeichen, serielle Reihungen. Man spürt, man ahnt, dass hier unter der Oberfläche etwas in Bewegung ist, dass sich gleich etwas verändern könnte. Gewissermassen liegt das Bild auf der Lauer.
Sabine Straßburger lebt in Bremen. Geboren wurde sie 1956 in Osterholz-Scharmbeck / Niedersachsen.
Als Malerin begann sie mit einer materialintensiven, pastosen, figürlichen Arbeitsweise. Je intensiver ihre Auseinandersetzung mit dem Medium wurde, desto klarer und eigenständiger entwickelte sich ihre künstlerische Position. Sie räumte nicht nur auf der Bildfläche auf, sondern auch in ihrem Denken, wie sie mir anvertraute.
Der Dualismus von Malerei und Sprache interessierte sie bereits zu Studienzeiten. Das führte anfangs dazu, das Sichtbare in sprachliche Konstruktionen zu übersetzen, in der Erfindung einer Lautmalerei, in poetischen Titeln bis schließlich Satzzeichen, die Interpunktion, direkt in die Malhaut Eingang fand: Klammern, Punkte, Doppelpunkte.
Mit der Farbe, mit dem pulsierenden Farbkörper, lasierend oder opak, übersetzt sie mittlerweile Situationen, Erinnerungen und Begegnungen.
Die analytisch-konzeptionelle Dimension verschwistert sich mit einer emotional-poetischen. Präzision und Phantasie, Klarheit und Vielschichtigkeit, Ordnung und Spiel kennzeichnen ihre Bildwerke, in denen sich Zeiträume schließen in der Begegnung von Vergangenheit und Gegenwart, Innen und Außen, in der Begegnung unterschiedlicher Realitäten.
Die Titel dieser stillen, abstrakt-konkreten Bilder irritieren. Man findet Nummern und die Beititel: französisches Porträt, französische Landschaft, französische Marine – aber nichts davon ist sichtbar. Sabine Straßburger fiel bei der Beschäftigung mit Malerei auf, dass auch diese normativen Regelsystemen gewissermaßen unterworfen ist. So werden in Frankreich seit dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein bestimmte Standardformate für bestimmte Themen verwendet: für Marine, Landschaft und Porträt.
Die Künstlerin übernahm dieses Maßnehmen historischer Genremalerei und markierte die traditionellen Formate mit einer erhabenen Konturlinie auf ihren Leinwänden. An den Bildrändern tauchen oftmals stilisierte Meßlatten auf.
Die Künstlerin erklärte selbst:
„Durch ihre spezifische Zeitstruktur ist für mich die Malerei, die Ölmalerei im besonderen, ein geeignetes Medium, diese für mich wichtigen Zusammenhänge sichtbar zu machen. . .Es ist ein eher von Langsamkeit gekennzeichneter Entstehungsprozeß, der dem Sehen und Wahrnehmen, dem Erkennen und Verstehen Zeit lässt und der vom Betrachter nachvollzogen werden kann… In der Ausstellung werden sich weder naturalistische oder zu identifizierende Porträts noch Landschafts- und Seestücke finden. Ich habe vielmehr die Formate, die den Inhalt der französischen Standardformate bestimmen, selbst zum Inhalt gemacht. Länge und Breite der französischen Formate werden auf größeren zeitgenössischen Standardformaten oder von mir frei definierten Bildformaten durch Markierungen kenntlich gemacht, mit diesen kombiniert, einander gegenübergestellt …Dabei verwende ich in den Arbeiten Zeichen, die ein hohes Maß an Konvention enthalten, um eine Fläche, einen Ort oder Raum zu definieren, so wie z.B. Passermarken und Kreuze, Klammern und Maßeinheiten … Erinnerungen an Landschaftserlebnisse oder Personen wie auch Kindheitserinnerungen bilden die emotionale Komponente … werden zu spezifischen Farbräumen verdichtet“.

Nr. 6 [frz. Porträt] 2003 60x100cm, 2-tlg Öl/Leinwand

Sabine Straßburger sensibilisiert die Betrachter ihrer Bildwerke für Farbe, Form und Größen, für Farbwirkungen. Einige Bilder besitzen eine Farbskalierung, in der alle Farben, die der Reihenfolge nach Verwendung fanden, aufgeführt sind. Diptychen sind teilweise mit sichtbaren Gleichheitszeichen zusammengefasst, wobei sich das Zeichen auf die Flächeninhalte bezieht. Andererseits begegnet man weißen Leinwänden, die einerseits mit wahrhaftigen Kantenschonern versehen sind, auf dem Pendant sind diese gemalt. Die Illusion ist perfekt. Alles ist möglich. Verlust oder Zugewinn? Es kommt auf den Standpunkt an! […] 2003, Quartal 1-4, ist eine Forschungsarbeit. Hier übertrug die Künstlerin ihr Alltagskonzept von Quartal zu Quartal auf Leinwände. Die Grautöne als Untergrund werden auf den 4 hochformatigen Tafeln immer dunkler und die Farbskalen von Restfarben geben an, mit welchen Farben vorrangig gearbeitet wurde. So entsteht ein Tagebuch mentaler Stimmungslagen.

Quartal-1-4 2004, je-170x18cm, Öl/Leinwand

„Denken ist interessanter als Wissen, aber nicht als Anschauen“, meinte Goethe. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Muße bei der Eroberung der Bildwelt von Sabine Straßburger, beim eigenen Maßnehmen.
Karin Weber, Galeristin
Dresden, 2006