Guido Boulboullé // Die Farben und die Zeichen
par-h 1993, 40x60cm, 2-tlg Öl, Pigmente/Leinwand
Sabine Straßburger ist eine Malerin, die die Farben, mit denen sie arbeitet, wie einen Werkstoff behandelt. Sie mischt sie selbst aus rohen Pigmenten. Dabei ist sie jedoch nicht primär an dem reinen Farbton des einzelnen Pigmentpartikels interessiert, sondern an seiner Verschmelzung und Schichtung im malerischen Prozess, aus dem erst der Farbkörper des Bildes in seinen unterschiedlichen Buntwerten als eine neu geformte und gestaltete Materie hervortritt. Man würde ihre künstlerischen Intentionen sicherlich falsch deuten, wenn man ihr malerisches Verfahren analog etwa zum Verfahren von Schmieden beschreibt, die das Erz in einen neuen formbaren Stoff wie Eisen umwandeln. Was sie interessiert, ist nicht die Veredelung von unreinen Stoffen – im Gegenteil: In ihrer Malerei hebt sie die Unterscheidung von wertvollen und unwerten Stoffen auf. Nicht in der Differenzierung, sondern in der malerischen Verdichtung soll sich die Farbmaterie in einen bedeutungsvollen Körper verwandeln. Das neugewonnene Eisen gewinnt seine endgültige Bedeutung jedoch erst, wenn es zu einem brauchbaren Werkzeug geformt wird. Wie enthüllt der neugestaltete Farbkörper seine Bedeutung? Kommt sie unmittelbar an ihm selbst zur Anschauung, oder wird sie erst mittelbar durch die Zeichen, die sich mit seiner Hilfeformen lassen, sichtbar und verstehbar. Diese auf den ersten Blick rein formal-ästhetischen Fragestellungen enthüllen ihre Brisanz dann, wenn sie als ein Problem von figurativem und diskursivem Bildverstehen präzisiert werden.
past 1993, 140x100cm
Öl, Pigmente/Pergamentpapier a. Stoff
bloc 1993, 140x100cm,
Öl, Pigmente/ ,Pergamentpapier a. Stoff
Als Gegensatz von spontaner Sinnhaftigkeit und reflektierter Distanz werden diese beiden Formen der Bildwahrnehmung heute gern gegeneinander ausgespielt, wirft man der einen sinnliche Naivität, der anderen unsinnliche Intellektualität vor. Vor den Bildern von Sabine Straßburger versagen solche klaren Gegenüberstellungen. Zwar werden in ihren Bildern beide Wahrnehmungsweisen thematisiert, zugleich aber die Erwartungen enttäuscht, über sie zu einem angemessenen Bildverständnis zu kommen. Sie setzen den Ausschließlichkeitsanspruch außer Kraft, mit dem diese jeweiligen Wahrnehmungsweisen vertreten werden. In ihren Bildern bleibt die widersprüchliche Gleichzeitigkeit von emotionaler Bildempfindung und konzeptueller Bildreflektion erhalten – nicht im Sinne der Überwindung ihrer jeweiligen Einseitigkeit, sondern im Sinne ihrer unauflösbaren Ambivalenz. In dieser Hinsicht lässt sich ihr wahrnehmungskritisches Kunstverständnis zugleich gesellschaftskritisch interpretieren: Als
Widerspruch gegen eine moderne Rationalität, die das Ambivalente zugunsten des Eindeutigen auflösen will.
In den Bildern selbst wird diese Kritik fassbar an ihrem besonderen Anspruch, zwei unterschiedliche Ansätze der modernen Kunst aufzugreifen. Zum einen knüpft Sabine Straßburger an die informelle Malerei an und mit ihrer materialen Farbigkeit insbesondere an die verschiedenen Spielarten des Tachismus. Zum anderen bezieht sie sich auf Spielarten der Konzept-kunst, die in der Kombination von systematischer Recherche und zufälliger Bildfindung sich gegen die individuelle Gestik des Informel wendet. Beiden Ansätzen scheint auf den ersten Blick eine der beiden genannten Wahrnehmungsweisen zu entsprechen. Im Sinne des Informel geben sich die Bilder als Meditationstafeln oder existenzielle Bildfindungen, die sich dem Betrachter als Projektionsflächen seiner eigenen Wünsche und Begehrungen darbieten. Doch lösen sie dieses Versprechen nicht ein. Je mehr man sich den unmittelbaren Ausdruckswerten der Farben und Formen überlassen möchte, desto abweisender werden die Bilder, verflüchtigt sich ihre malerische Geste in einen unpersönlichen Farbauftrag, verliert die materiale Farbdichte ihre körperliche Prägnanz und verwandeln sich die Bildformen in diskursive Zeichen, die scheinbar spannungslos in den Bildgrund eingebettet sind. Im Sinne der Konzeptkunst bieten sich die Bilder als experimentelle Versuchsfelder an, mit denen sich die Sprachkraft von Form und Farbe in Analogie zu den Wörtern und Sätzen der Schriftsprache überprüfen lässt. Doch erweist sich auch der analytische Zugang schnell als Sackgasse. Der scheinbaren Interferenz von Bild und Sprache widerspricht die Eigensinnigkeit der einzelnen Bildfelder. Statt sich als repräsentative Bildzeichen in eine neue syntaktische Ordnung einzufügen, verwandeln sie sich in geheimnisvolle Farbkörper, die sich einer diskursiven Lesart sperren. Zufällige Formfindungen und in-differente Bildreihung verleihen plötzlich jedem einzelnen Bildfeld eine Eigenbedeutung, die der Intention des konzeptuellen Ansatzes zuwider-läuft. In dieser Verkehrung gewinnen die Bilder jene sinnliche und sinnhafte Unmittelbarkeit, die sie in der isolierten Wahrnehmung des einzelnen Bildfeldes nicht zu bewahren vermögen.
sentence 5 1993, 100x420cm, 10-tlg Acryl, Öl, Pigmente, Asphaltlack/Papier
Nicht nur an den Werken, die gleich einem Wort- oder Satzgefüge aus mehreren Bildfeldern kombiniert sin, lässt sich der Umschlag der figurativen Wahrnehmung in die diskursive (und umgekehrt) erfahren.Auch in den großformatigen Einzelbildern werden beide Wahrnehmungsweisen offeriert und zugleich enttäuscht. An ihnen lässt sich noch präziser verdeutlichen, dass sie sich Wahrnehmungen entziehen, die einem identifizierenden oder organisierendem Sehen verpflichtet und den üblichen Mechanismen von sinnstiftendem Deuten verhaftet bleiben. Es ist gerade mit Blick auf diese Bilder eine seltsame Erkenntnis und Empfindung, dass sie bedeutsam erscheinen, ohne einsichtig deutbar zu sein. Ihre Uneindeutigkeit beruht vor allem auf der Schwierigkeit, das Verhältnis von Bildzeichen und Farbflächen in einer strukturierten Beziehung zu sehen. Weder gliedern die einzelnen Zeichen das Farbfeld im Sinne einer spannungsvollen kompositionellen Ordnung, noch wird die Farbigkeit der Bildfläche im Kontrast zu den Zeichen intensiviert. Vielmehr scheint es, als entwerten sie sich gegenseitig, wenn sie als selbständige Bildteile aufeinander bezogen werden. Dieser Eindruck verstärkt sich noch dadurch, dass weder das Zeichen als symbolische Ausdrucksform, noch die Farbfläche als sinnvoll begrenzte Flächengestalt erfahren werden. Indem dem Zeichen keine repräsentative Funktion zukommt, gewinnt es keine diskursive Bedeutung. Gleichermaßen führt die Gestaltlosigkeit der Farbfläche dazu, sie als beliebigen Flächen-ausschnitt ohne figurativen Eigenwert aufzufassen. Bildzeichen und Farbfläche begründen sich gegenseitig, weil sie nur im gegenseitigen Verweis potentiell bedeutsam sind: Sei es als notwendiger Bildgrund, von dem das Zeichen sich absondert, sei es als imaginäres Bildelement, das die materiale Eigenart der Farbfläche betont.
clam-2 1992, 100x140cm Öl, Pigmente, Asphaltlack/Pergamentpapier a. Stoff
Mit ihren Bildern sprengt Sabine Straßburger die gewohnten Wahrnehmungsmuster auf, mit denen wir uns die Kunst der radikalen Moderne angeeignet und verfügbar gemacht haben. Gegen die geläufigen Einordnungen setzt sie die Ambivalenz einer gleichermaßen figurativen und diskursiven Wahrnehmung. Ihre Bilder muten uns zu, in irritierender Doppeldeutigkeit als materiale Farbkörper und als symbolische Zeichen zugleich gesehen zu werden. Sie enthüllen sich weder reflexiv im erinnernden Nachsinnen als figurativ bedeutungsvoll, noch erlangen sie durch die allmähliche Verwandlung der sinnlichen Wahrnehmung in sinnstiftende Deutung diskursive Lesbarkeit. Die ambivalente Gleichzeitigkeit beraubt uns der Möglichkeit, diese beiden Ordnungen unabhängig voneinander zu entfalten. Was sich sprachlich nur in den paradoxen Formulierungen von empfindsamer Reflektion und reflektierter Empfindung fassen lässt, wird in ihren Bildern zum sinnlich-sinnhaften Wahrnehmungsereignis. An den hier abgebildeten Werken lässt sich nachvollziehen, auf welche je besondere Weise ihre Bilder uns eine neue Auseinandersetzung mit unserem geläufigen ästhetischen Empfinden und Denken ermöglichen. Sie öffnen einen weiteren Zugang zu dem eigensinnigen Wahrheitsgehalt der Kunst als einer Weltsicht, in der das sinnliche Empfinden unauflöslicher Teil der intellektuellen Sinngebung bleibt und nicht einer übergeordneten Rationalität geopfert wird.
GUIDO BOULBOULLÉ
in Katalog: Sabine Straßburger, Galerie Schütte, Essen/Bremen, 1993