Sabine Straßburger

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2004 Katerina Vatsella

Zwischen Intellekt und Gefühl - die Bilder von Sabine Straßburger

Katerina Vatsella // Zwischen Intellekt und Gefühl – die Bilder von Sabine Straßburger


Ein strahlend blaues Rechteck scheint sich aus dem dunkelblauen, etwas breiteren linken Teil des aus zwei Leinwänden bestehenden Bildes gerade nach rechts hinausgedrängt zu haben: „Nr. 20 [frz. Marine]“ (S. 12) lautet sein Titel. Etwas weniger dynamisch aber gleich intensiv erscheint sein helles Pendant (S. 13): Hier hat sich ein dunkles Rechteck aus dem linken Bildteil herausgeschoben und schwebt nun ruhig und zugleich intensiv an der Wand. Sein Umriss ist noch als hellere Fläche im linken Bildteil erkennbar.

Nr. 20 [frz. Marine] 2003, 60x163cm, 2-tlg, Öl/Leinwand

Kühles Hellgrün bestimmt wiederum die Innenfläche eines querformatigen Bildes, die von einem smaragdgrünen Rand umrahmt wird, mit dem Titel „Nr. 100 [frz. Landschaft]“ (S. 15). Das an den rechten Rand gerückte innere hellgrüne Rechteck ist von einer ähnlichen Spannung, wie sie in den gerade erwähnten blauen Bildern spürbar ist – es könnte sich potentiell jederzeit in Bewegung setzen und aus dem Bild hinaus schieben.
Lenkt man den Blick auf ein andere Arbeit, diesmal ein Hochformat (S. 19), so findet man eine ähnlich strenge Aufteilung des Bildraumes: ein Rechteck im Rechteck, leicht nach rechts unten geschoben, das äußere Rechteck in einem hellen Grau, das innere in einem gelblich schimmernden, zarten Rosa gehalten: „Nr. 30 [frz. Porträt]“.

Nr. 30 [frz. Porträt] 2002, 130x90cm Öl/Leinwand

Die Titel dieser abstrakten, streng geometrisch gestalteten Bilder verwundern, zumal in keinem ein gegenständlicher oder figürlicher Bezug zu den Themen Marine, Landschaft oder Porträt auftaucht. Wie sind sie zu verstehen?
Beim Untersuchen von Normen, Relationen und Maßen in der Kunst fiel Sabine Straßburger auf, dass nicht nur Bildinhalte sondern auch Bildformate bestimmten Grundregeln und Normierungen unterliegen. So werden in Frankreich seit dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein Standardformate für bestimmte Themen verwendet: jeweils andere für „Marine“, „Landschaft“ und „Porträt“. Ebenso standardisiert sind ihre unterschiedlichen Größen: Nr. 20, Nr. 30 oder Nr. 100 etc.. Sabine Straßburger übernahm diese historischen Formate und setzte sie in ihre Leinwände als eingezeichnete Rechtecke ein. Unterschiedliche Farbwerte unterstreichen die Differenz beider Formate und ein stilisiertes Lineal, das oft an den Bildrändern erscheint, weist auf die unterschiedlichen Maße hin.
„Malerei ist meine Art zu denken“, sagt Sabine Straßburger. Es ist allerdings kein Denken, das sich über die Sprache mitteilt, das sich durch Worte und Sätze äußert. Es ist ein beobachtendes und reflektierendes und zugleich ein fühlendes und empfindendes Denken, das Sabine Straßburger in Farben und Formen umsetzt und in vielen Varianten von beeindruckender strenger Schönheit untersucht.
Von Anfang an verfolgt sie in ihrer Arbeit zwei Stränge: Auf der einen Seite analysiert und untersucht sie fortlaufend ihre eigenen malerischen Mittel: sie erkundet die Materialität und die optische Wirkung der Farbe, ihren Kontrast und Tonalität – ob hell oder dunkel, ob rein oder gemischt – oder die Struktur und Beschaffenheit des Farbauftrags – ob lasierend, transparent oder dickflüssig, deckend. Es geht ihr aber auch um das Format der Bilder, um das Verhältnis von Höhe und Breite ihrer Außenmaße, von Innenfläche und Rand, von Räumlichkeit und Fläche.
Auf der anderen Seite beschäftigt sie die Entwicklung einer Bildsprache in einem lexikalisch-etymologischen oder einem semantischem Sinne: dabei geht es ihr um die Bedeutung von Farbigkeit und Zeichen, um Begriffe und Sachverhalte, für die sie im Laufe der Zeit ein Art Bildcode schuf, ein geometrisch-abstraktes Vokabular aus Linien, Kreuzen, Klammern, Kreissegmenten, Punkten und andere Zeichen, die auch außerhalb des künstlerischen Kontextes Flächen oder Räume markieren, definieren oder begrenzen. Zu solchen Zeichen gehören auch rechteckige Farbstreifen in verschiedenen Größen, die manchmal in ihren Bildern erscheinen. Sie sehen wie Farbkarten aus und dokumentieren die Farbschichten, die Sabine Straßburger übereinander legt, um ihre intensiven Farbflächen aufzubauen. Sie beinhalten also nicht nur einen technisch-erklärenden Aspekt sondern auch eine zeitliche Dimension der Entstehung des Farbauftrags. Die tiefer liegenden Farbtöne schimmern manchmal durch und verleihen ihren Bildern eigenwillige Farbnuancen.

Nr. 40 [frz. Marine] 2005, 100x135cm, Öl/Leinwand

Sabine Straßburger arbeitet gerne in Serien, in denen sie ein Thema in verschiedenen Variationen untersucht. Sie fügt dieselben oder ähnliche Bildelemente in unterschiedlichen Farbtönen immer wieder anders zusammen, formuliert sie um, präzisiert ihre Relationen. Mit dieser konsequenten, analytischen Art der Untersuchung kommt Sabine Straßburger Prinzipien der Minimal Art nahe, bei der die Prägnanz der visuellen Wahrnehmung ein zentrales Anliegen ist. Oder auch der Geometrischen Abstraktion, die u.a. die Wechselwirkung der bildkonstituierenden Elemente zum Thema hat – Anklänge und Analogien zu Werken von Künstlern wie Robert Ryman, Robert Mangold oder später Imi Knoebel, kommen auf.
Sie selbst fühlt sich auch Mark Rothko nahe. Diese empfundene Nähe spricht für die gefühlsmäßige Seite ihres Schaffens und für die zentrale Bedeutung der Farbe in ihrem Werk, jenseits der geometrischen Konstruktion. In ihren abstrakten Bildern hält Sabine Straßburger Stimmungen fest, die Atmosphäre von Orten, von Begebenheiten, von Personen. Oft verbindet sie Erinnerung mit Farben und Farbtönen. Manchmal klingt ihre Inspiration im Bildtitel an: „Familienporträts Nr. 8 [frz. Porträts]“ (S. 20) heißt dann eine Serie von vier zweiteiligen Bildern mit verwandten Farben und trotzdem jeweils sehr unterschiedlichem Charakter.

1ste Serie Familienporträts [frz. Porträt Nr.8] 2002, 4x60x88cm, 8-tlg. Öl, Pigmente, Leinwand

So kennzeichnet die fließende, ungezwungene Verbindung konsequenter, konzeptueller Systematik und intuitiver Gestaltung die Bilder von Sabine Straßburger und verleiht ihnen Tiefe und Substanz über das Ästhetische hinaus.
Katerina Vatsella

in Katalog: Sabine Straßburger, 2004, Galerie Luzàn, Bremen