Sabine Straßburger

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1998 Carsten Ahrens

Gedankenbilder der Malerei

Carsten Ahrens // Gedankenbilder der Malerei

 

Changierende Farbflächen von irisierender Tiefe, abstrakte Zeichen einer unentzifferbaren Sprache, Chiffren, die im Gewand der Malerei erscheinen, Malerei, die zur Chiffre wird. In den Bildwelten Sabine Straßburgers bewegen wir uns auf einem doppelbödigen Terrain. In den vielschichtigen Farbräumen ihrer Malerei formuliert sich ein Gegenbild zu einer Welt, die im schnellen Schnitt, eine Bildoberfläche gegen die nächste tauscht.
Sabine Straßburgers Bilder sind von einer diskreten Zurückhaltung, ruhende Pole im Gewitter der Bilder, die alltäglich über unsere Netzhaut schießen. Es ist dies eine ruhende Tiefe, die aus den polaren Setzungen zwischen Farbraum der Malerei und präziser Zeichensetzung sich entfaltet. Es entstehen komplexe Gefüge, die Passagen eröffnen zwischen den vielschichtigen Wahrnehmungsebenen, aus denen wir unser Bild der Welt gewinnen.
In den vergangenen Jahren hat Sabine Straßburger eine künstlerische Sprache entwickelt, die sowohl auf den poetischen Raum, den ihre Malerei entfaltet setzen kann als auch auf den konzisen Einsatz zeichenhafter Abstraktionen aus dem Reich der theoretischen Reflexion.
Ein Blick zurück auf den Beginn dieser Art Bilder zu machen, mag uns zeigen, wie präzise diese Bildkonstruktionen sind. In den Bildern zu Beginn der neunziger Jahre erschienen organische Formen in pastos sich aufbauenden monochromen Farbflächen, die oft gegeneinander gesetzt einen seriellen Reigen fragmentarischer Zeichen vorstellten. Wir sahen geheimnisvolle Farbräume, in denen archaisch anmutende Figurationen wie Chiffren einer anderen Zeit aufschienen und geborgen waren – Lagerstätten einer versunkenen Kultur, oder Bilder von der anderen, der Nachtseite der Gegenwart. Traumgebilde, die sinnstiftend auf den Flächen der Farben flimmern – ein Reigen der uneindeutigen, fragilen Balance unserer Vorstellung, Bilder, in denen unsere Erinnerung durch die assoziativen Geflechte der schweigenden Chiffren ihren fortgesetzten Text schrieb.
In den vergangenen Jahren hat die künstlerische Sprache dieser Bilder eine schärfere Kontur gewonnen, werden die Pole von malerischer Farbschichtung und abstrahiertem Zeichen stärker gegeneinander gesetzt. Der pastose Duktus ist einem eher lasierenden Auftrag der transluziden Farbschichten gewichen. An den Rändern des Diaphanen wird Farbhaut über Farbhaut gelegt – es entstehen Flächen, die gleich einer Membran ebenso durchlässig wie verschlossen erscheinen. Die Schichtung der Bilder wird zu ihrer Geschichte, zur Geschichte der artistischen Genese. Zeit ist in diesen Bildern gespeichert, Dauer strahlen sie aus, Haltepunkte des Blicks, der Konzentration unserer Wahrnehmung.
Was heißt es, sich ein Bild zu machen. Wie entstehen die Bilder in unserem Kopf, die frei sind von den Abziehbildern der sogenannten visuellen Kommunikation, die unsere Vorstellungen vom Bild in immer eindimensionaleren Bahnen navigiert.
Die Bilder Sabine Straßburgers, es sind Bilder einer Malerin, die mir der Gläubigkeit in konventionell kodierte Codes wie mit dem ungebrochenen Vertrauen in die technischen Bilder spielt. Sie kann dies, weil sie in ihren Bildern das Material der Farbe von Beginn an gegen ein System der Zeichen agieren liess – das Produkt dieses Unternehmens ist ein vielschichtiges, ineinander verwobenes wie gegeneinander austariertes System unterschiedlichster Wahrnehmungsebenen. Mit den Interpunktionen des sprachlichen Systems, mit Klammer, Punkt und Komma oder mit Plus- und Minuszeichen beispielsweise, wird eine inhaltliche Bedeutungsebene in den Fluss der Malerei eingeschrieben. Die Haut der Malerei wird gewissermaßen tätowiert mit Fragmenten eines Codes, in dem sich unsere Sehnsucht nach Bedeutung blindspiegelt.

und 5 1994, 86x130cm, 8-tlg Pigmente, Öl/Papier a. Leinwand

Diese Bilder sind Augenlust und Gedankenspiel in einem – die Trennungslinie ist hier nicht zu ziehen – das eine mag in das andere umschlagen, unser Blick mag dem einen oder dem anderen einmal mehr, einmal weniger Vertrauen schenken.
Wieso glauben wir einem Satz mehr als einer in unterschiedlichsten Abstufungen nuancierten farbigen Fläche – warum bannen wir die assoziativen Geflechte, die sich mit der Abstraktion eines Bildes verbinden, gern in die versponnenen Gefilde der Phantasie – während wir dem kodierten Bedeutungsgehalt einer Folge von Buchstaben, soweit sie uns nicht in poetisch konstruierter Verzerrung verstört, sehr viel leichter Glauben schenken.
“Wir sind so sehr in der klassischen Vorstellung der Verstandesadäquatheit befangen“, formuliert Maurice Merleau-Ponty in seiner luziden Studie „Das Auge und der Geist“, „dass dieses stumme Denken der Malerei uns bisweilen den Eindruck eines nichtigen Strudels von Bedeutungen, einer paralysierten oder fehlgeschlagenen Sprache hinterlässt. Und wenn man antwortet, dass kein Denken sich ganz und gar von seinem Träger löst, dass es das einzige Privileg des sprachlichen Denkens ist, das seinige handlich gemacht zu haben, dass ebenso wenig wie die Gestalten der Malerei die der Literatur und der Philosophie verbürgt sind, sich in einem stabilen Schatz anzusammeln, dass selbst die Naturwissenschaft eine Zone des Fundamentalen anzuerkennen lernt, die, von dichten, offenen und zerrissenen Wesen bevölkert, man keineswegs erschöpfend behandeln kann, wie die ästhetische Information der Kybernetiker und die mathematisch-physikalischen Operationsgruppen, und dass wir schließlich nirgends imstande sind, eine objektive Bilanz zu ziehen, noch einen Fortschritt an sich zu denken […]“

verin 1998, 70x130cm, 2-tlg Öl, Pigmente/Leinwand

In diesen Zusammenhängen setzt Sabine Straßburger in immer neuen Versuchsanordnungen die Frage ins Bild, warum die Illusion unserer Wahrnehmung so beständig – und die Angst vor einem Terrain, das keine letzten Antworten kennt, so groß ist. Auf dieser Spur formuliert ihre Malerei eine fortgesetzte Kritik an den technischen Bildern, die für sich beanspruchen können, beim Betrachter die Einbildung eines hohen Wahrheitsgehalts garantieren zu können. Denn trotz des Wissens um die Manipulierbarkeit des elektronisch hergestellten Bildes wird das Gesehene als reale Gegenwart rezipiert – Allmachtsphantasien einer Omnipräsenz, die nur aus Pixeln besteht. „Die Photographie hat das Ebenbild zerstört“, konstatiert Elias Canetti in seinen Aufzeichnungen über „die Provinz des Menschen“, doch die Malerei hat die Vision von den künstlerischen Äquivalenten des Realen keinesfalls aufgegeben.
Malerei verweigert sich als handhabbares Bildsystem, negiert die Fassbarkeit der Welt im Bild und konstruiert so einen Raum der Vorstellung jenseits der kodierten Systeme, die unsere alltägliche Warenwelt bestimmen. Im Blick auf die Bilder Sabine Straßburgers wird der Betrachter ganz auf sich selbst zurückgeworfen. Die Bilder schicken den Betrachter auf eine unendliche Reise der Widersprüche und Kontradiktionen – auf eine Reise, die keinen Zielhafen kennt, denn „Ich“, das ist bekanntlich immer „ein anderer“, das kongruente, das fixierte Bild, die absolute Identität, es gibt sie nicht.
Das Besondere an den Bildern Sabine Straßburgers ist, dass es ihnen gelingt, Zeichen einer diskursiven Sprache in das Bild der Malerei zu integrieren, ohne dabei an der Oberfläche spannend inszenierter Disparitäten zu operieren, kurz ohne Effekte zu haschen, die sich schnell verflüchtigen.
Auf einer quadratischen Bildfläche erscheint ein vom grauen Umfeld scharf abgegrenztes Quadrat – wie ein Bildausschnitt, in dem die Malerei sich vollzieht. In gelblichen Farben changiert die malerische Fläche, geheimnisvoll irrlichterne Phänomene der Malerei, wie der Blick in die verborgene Welt eines Kratergesteins. Die vielstimmige Sprache der Malerei wird gerahmt von grauer Theorie. Auf die Ränder des Bildes hat die Künstlerin Passermarkierungen gesetzt, die beim mehrfarbigen Offsetdruck dafür sorgen, dass die unterschiedlichen Druckplatten präzise aufeinander abgestimmt sind. Die justierte Illusion des präzisen Bildes – gestochen scharf abgebildeter Realität – eine Anschauung, die die Künstlerin mit diesem Contre coup ihrer Malerei für ihr Bild reklamiert.

scan 1998, 135x135cm Öl, Pigmente/Leinwand

Straßburger formuliert mit ihren Bildern Setzungen der Malerei. Wir sehen Zeichenfolgen, in denen der Sinn spielt. Poetischen Konstruktionsprinzipien folgend verdichten sich die Zeichen, geben Raum, in dem unsere Gedanken den wilden Tanz konkreter Assoziation tanzen können – ein Freiraum, in dem ohne das eng anliegende Gewand von Subjekt Prädikat Objekt, die Welt ohne grammatikalische Lesebrille gesehen wird.
In Diptychen werden unterschiedliche Farbflächen und unterschiedliche Zeichen gegeneinander gesetzt, Klammern, mit denen wir gewöhnlich in Satzkonstruktionen Parenthesen kenntlich machen oder Nebenbedeutungen hinzufügen ohne den Fluss der Rede unterbrechen zu wollen, sie eröffnen in den Fluss der Malerei ausgesetzt, Gedankenräume oder verschließen, verdichten einen Raum, der leer bleiben muss. Wir begegnen der Idee des Kreises, von Linien bezeichnet, zerschnitten in Segmente und auf mehrere Bildformate verteilt – die Idee des Kreises als absolute Form wird als Konstruktion des Gedankens vorgestellt, die in unserem Kopf zu leisten ist, nicht frei Haus geliefert wird. Homogene Bilder, Urbilder der Harmonie – sie sind Illusionen, die allein als Ideenkonstruktionen – als Gedankenbild real sind.
In einer Serie von Bildern verwendet die Künstlerin jene Schutzhüllen, die über die Ecken von Rahmen gestülpt werden, um sie vor Beschädigung zu bewahren. Diese Formen werden in seriell angeordneten Bildfolgen einmal real zum Einsatz gebracht, zum anderen erscheint die Form als ausgesparte Fläche, als Raum, den die Malerei nicht füllt. Der Bezirk der Malerei wird hier imaginär geschützt zum einen – aber auch eingeklammert, vom umgebenden Raum abgegrenzt, als künstlerisches Terrain markiert.
Diese Klammern würde es aufzulösen gelten, wenn Antonin Artauds Traum, dass eine Ausstellung nicht nur ein Ereignis in der Kunstgeschichte, sondern der Geschichte überhaupt sein müsse, an Realität gewinnen soll. Doch in realiter sehen wir, dass unsere Wahrnehmung der Welt in eine Vielzahl von Momenten zersplittert. Jeder Code entwickelt sein eigenes Weltbild.
In den homogenen Kontradiktionen ihrer Bilder konstruiert Sabine Straßburger eine geheime Melodie, wie sie vornehmlich die Malerei anzustimmen in der Lage ist. Poetische Präzision erzählt hier von einem weiteren Traum der Kunst, den Georg Simmel in folgenden Worten besungen hat: „So gehört dies überhaupt zu dem unbegreiflich Höchsten aller Kunst, dass sie Wertreihen, die im Leben gleichgültig, fremd oder feindlich auseinanderliegen, wie in selbstverständlicher Einheit zusammenführt […] und uns damit eine Ahnung und ein Pfand gibt, dass die Elemente des Lebens doch wohl in ihrem letzten Grunde nicht so heillos gleichgültig und beziehungslos nebeneinander liegen, wie das Leben selbst es glauben machen will.“

Maurice Merleau-Pont Das Auge und der Geist, Hamburg 1984, 5. 42 f.
Elias Canetti, Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942-1972, (München 1973), Frankfurt am Main 1973, S.153 Georg Simmel, Zur Philosophie des Schauspielers, in: der,.: Das individuelle Gesetz, Frankfurt am Main 1987, S.90