Sabine Straßburger

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1998 Claudia Meier

Leerstellen in der Malerei von Sabine Straßburger

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Claudia Meier // ohne Titel

Innerhalb der Arbeiten von Sabine Straßburger, die sich alle gleichermaßen mit der Oberfläche, mit malerischen Problemen und inhaltlich mit Zeichen und Sprache beschäftigen, fällt eine Werkgruppe aus dem Rahmen, die schlicht „ohne titel“  heißt. Der Titel ist Programm, denn diese Arbeiten verweisen auf Verzicht und auf Leerstellen.
Ausgangspunkt der Serie sind die bei bespannten Fertigkeilrahmen mitgelieferten Schutzecken. Ein Utensil also, das kurzzeitig eine praktische Funktion zu erfüllen hat und das sich Straßburger für ihre Arbeit nutzbar macht. Die Arbeiten bestehen jeweils aus zwei Leinwänden. Auf der einen Hälfte erscheint der Platz, den die Schutzecken ursprünglich einnahmen, schwarz, während die restliche Fläche wie gewohnt eine malerische Struktur erhält. Im Gegenzug dazu besteht die zweite Hälfte aus eben diesen Schutzpappen, die auf die Ecken einer unbehandelten, vorgefertigten weißen Leinwand gesteckt werden. Es ist ein Gegenbild und doch nicht ganz.

o.t. 1998, 50x80cm, 2-tlg Öl, Pigmente, Karto /Leinwand

In allen anderen Arbeiten von Sabine Straßburger geht es grundsätzlich um Farbschichten, die im Laufe der letzten Jahre immer subtiler geworden sind, bis zu einem Punkt, wo sie sich wie ein hauchdünner Film auf die Leinwand legen. Immer haben die Bildhälften, die Elemente untereinander oder die verschiedenen Parts der Serien miteinander kommuniziert, über die Farbe, das Abgebildete und die Struktur der Oberfläche. Bis zu dem Beginn der Serie „ohne titel“ wurden alle formalen, inhaltlichen und ästhetischen Fragen in der Malerei direkt auf der Leinwand gelöst. Sabine Straßburger benutzt hier zum ersten Mal einerseits ein fremdes Material wie die Schutzecke und versieht es mit Farbe und Struktur, und andererseits eine vorgefertigte Leinwand, ohne sie mit Farbe zu versehen. Begrenzt auf einen Teilbereich ihres Werkes negiert sie damit die elementaren Bestandteile ihrer Arbeit, aber allen voran die Farbe als die malerische Herausforderung an sich, die hier nur noch eine periphere Rolle spielt.
Die Schutzecken – tatsächlich vorhanden oder als dunkle Stellen – legen Assoziationen an alte Fotoalben frei. Auch die unterschiedlich geschwungenen und geraden Schnitte, die Sabine Straßburger an ihnen vornimmt, widersprechen dem nicht, denn solche Fotoecken hatten durchaus nicht nur eine einzige Form. Und wie ein Foto, das nach einem langen Aufenthalt in der Fotoecke sich bis auf diesen Rand verfärbt, wirken auch die Arbeiten, als könnte man in ihnen Spuren des Vergehens von Zeit verfolgen. Es ist das Herausnehmen eines Stückes aus einer Fläche, der Abdruck, die Darstellung des schon Gewesenen. Die weiße Leinwand hingegen ist leer, offen und neutral.

o.t. 1998 je 50x80cm, 2-tlg Öl, Pigmente, Karton/Leinwand

In der Serie „ohne titel“ verzichtet Sabine Straßburger auf eine potentiell zu bemalende Fläche und lotet damit Grenzen der Malerei aus. Das ist kein Protest, keine Provokation im Sinne eines Ready mades, sondern eine andere Möglichkeit, über Malerei nachzudenken. Mit dem Material wird über die Bedingungen der Malerei philosophiert. Durch die Paarbildung wird die Transformation deutlich: Das Material an sich ist nach allen Seiten offen, eine unberührte Fläche, ein unbeschriebenes Blatt. Durch die Farbe geschieht der leise, fast unmerkliche Übergang des Materials in ein Bild. Beide Zustände werden über die hier als Leerstellen gekennzeichneten und dort aufgesteckten Schutzecken zusammengehalten und in Beziehung gesetzt. Sie verweisen auf ein Vorher und ein Nachher.
„ohne titel“ ist bislang die einzige Serie von Sabine Straßburger, die solche Assoziationen hervorruft und in der die Malerin ein Anliegen hat, das über die Sprache hinausgehend Symbolhaftes berührt. Hier werden Vergangenheit und Zukunft sowie der gegenwärtige Standpunkt thematisiert, nicht durch laute Gesten, sondern mit den subtilen Mitteln des Weglassens und Gegenüberstellens.


In: Katalog Sabine Straßburger 34 Arbeiten 2 Texte, Bremen 1998, Galerie Barbara Cramer, Bonn; Galerie Cornelius Hertz, Bremen; Galerie Schütte, Essen